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Der Erlkönig

I. Gedicht: Der Erlkönig

Titel: „Der Erlkönig“
Autor: Johann Wolfgang von Goethe
Veröffentlichungsjahr: 1782
Epoche: Sturm und Drang

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.

„Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?“
„Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlkönig mit Kron und Schweif?“
„Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.“

„Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel ich mit dir;
Manch bunte Blumen sind an dem Strand;
Meine Mutter hat manch gülden Gewand.“

„Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht?“
„Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind.“

„Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein.“

„Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort?“
„Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau.“

„Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.“
„Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan!“

Dem Vater grauset’s er reitet geschwind,
Er hält in Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.

Johann Wolfgang von Goethe

II. Einführung in das Gedicht „Der Erlkönig“

Gemaltes Bild des Gedichtes

Johann Wolfgang von Goethes Ballade „Der Erlkönig“ ist eines der bekanntesten Werke der deutschen Literatur und wurde erstmals 1782 in der Zeitschrift „Die Fischerin“ veröffentlicht. Das Gedicht entstand in der literarischen Epoche des Sturm und Drang, einer Bewegung, die von etwa 1765 bis 1785 dauerte. Diese Epoche war geprägt von einem starken Ausdruck der Emotionen, einer intensiven Naturverbundenheit und einer oft rebellischen Haltung gegenüber den normativen gesellschaftlichen und literarischen Konventionen der Zeit.

Goethes „Erlkönig“ verkörpert viele der zentralen Themen und Motive des Sturm und Drang. Es ist ein düsteres und packendes Gedicht, das sich durch seine dramatische Erzählweise und die kraftvolle Darstellung von Angst und Bedrohung auszeichnet. Der Einsatz von Naturgewalten und übernatürlichen Elementen spiegelt die romantische Vorstellung von der Natur als einer mächtigen und manchmal unheimlichen Kraft wider.

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Kurze Zusammenfassung des Inhalts

„Der Erlkönig“ erzählt die Geschichte einer nächtlichen Reise eines Vaters mit seinem kranken Sohn. Sie reiten auf einem Pferd durch den dunklen Wald, wobei der Vater bemüht ist, so schnell wie möglich nach Hause zu gelangen, um seinem fiebernden Kind Hilfe zu holen. Während der Fahrt sieht und hört der Junge den Erlkönig, eine bedrohliche, geisterhafte Gestalt, die versucht, ihn zu sich zu locken. Der Erlkönig spricht verführerisch auf den Jungen ein und verspricht ihm Freude und Spiel. Doch der Vater kann die Erscheinung nicht sehen und versucht, seinen Sohn zu beruhigen, indem er ihm erklärt, dass die unheimlichen Bilder und Geräusche nur Einbildungen seien, hervorgerufen durch die Dunkelheit und die Fieberfantasien des Jungen.

Die Dialoge zwischen Vater und Sohn sowie die Monologe des Erlkönigs bauen eine intensive Spannung auf. Während der Vater rational und beschwichtigend reagiert, nimmt die Angst und Panik des Jungen immer weiter zu. Der Höhepunkt des Gedichts erreicht seinen tragischen Abschluss, als der Vater endlich zu Hause ankommt und feststellt, dass sein Sohn tot ist.

Die Hauptfiguren des Gedichts sind:

  1. Der Vater: Er ist besorgt um seinen Sohn und versucht, ihn vor den imaginären Gefahren zu schützen. Seine rationalen Erklärungen sollen den Jungen beruhigen und die bedrohliche Situation entschärfen. Der Vater repräsentiert die Stimme der Vernunft und des Schutzes.
  2. Der Sohn: Er ist fieberkrank und befindet sich in einem Zustand der Halluzination. Für ihn wird die Bedrohung durch den Erlkönig real und greifbar. Seine zunehmende Angst und Verzweiflung spiegeln die Ohnmacht wider, die das Gedicht dominiert.
  3. Der Erlkönig: Eine übernatürliche Gestalt, die versucht, den Jungen zu sich zu locken. Er spricht in verführerischen und zugleich bedrohlichen Worten, die eine magische Anziehungskraft haben. Der Erlkönig steht symbolisch für den Tod oder das Unheil, das auf den Jungen wartet.

Das Gedicht „Der Erlkönig“ fasziniert durch seine dichte Atmosphäre und die kraftvolle Sprache, die das Spannungsfeld zwischen Realität und Einbildung, Vernunft und Wahnsinn meisterhaft darstellt. Es lädt zu vielfältigen Interpretationen ein und bleibt ein eindrucksvolles Beispiel für die literarischen Qualitäten der Epoche des Sturm und Drang.

III. Formale Analyse

Strophen und Verse

Anzahl der Strophen: 8
Anzahl der Verse pro Strophe: 4

Johann Wolfgang von Goethes „Der Erlkönig“ besteht aus acht Strophen, von denen jede vier Verse umfasst. Diese Struktur trägt zur gleichmäßigen und rhythmischen Erzählweise des Gedichts bei und verstärkt die dramatische Wirkung der Geschichte. Die knappe, prägnante Form jeder Strophe lässt wenig Raum für Ablenkungen und fokussiert die Aufmerksamkeit des Lesers auf die intensiv fortschreitende Handlung.

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Reimschema

Durchgängiges Paarreim (aabb) mit einer Ausnahme in der fünften Strophe (unreiner Reim)

Das Gedicht folgt größtenteils einem strengen Paarreim-Schema (aabb). Dieses Reimschema verleiht dem Gedicht eine fließende, rhythmische Struktur, die zur dramatischen Spannung beiträgt. Eine bemerkenswerte Ausnahme findet sich in der fünften Strophe, wo ein unreiner Reim vorkommt:

„Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht?“
„Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind.“

Hier wird der ansonsten strenge Reimfluss unterbrochen, was zur Erzeugung eines unruhigen, angespannten Effekts beiträgt und die wachsende Panik des Kindes unterstreicht.

Metrum

Vorwiegend vierhebiger Jambus, gelegentlich Anapäst

Das Gedicht verwendet überwiegend einen vierhebigen Jambus (xXxXxXxX), was eine gleichmäßige, galoppierende Bewegung erzeugt, die das Reiten des Vaters und seines Sohnes auf dem Pferd widerspiegelt. Der Jambus, der aus einer unbetonten Silbe gefolgt von einer betonten Silbe besteht, verleiht dem Gedicht eine natürliche, sprechende Rhythmik, die zur Dramatik und Spannung beiträgt.

Gelegentlich finden sich Anapäste (xxX), die das gleichmäßige Jambus-Muster aufbrechen und dadurch besondere dynamische Akzente setzen. Diese wechselnden Versfüße tragen zur lebendigen, bewegten Atmosphäre des Gedichts bei und spiegeln die unruhige und bedrückende Reise durch den dunklen Wald wider. Sie verstärken das Gefühl des galoppierenden Pferdes und der hastigen Flucht vor der unheimlichen Bedrohung.

Kadenz

Vorwiegend männliche Kadenz

Die meisten Verse im Gedicht enden mit einer betonten Silbe, was als männliche Kadenz bezeichnet wird. Diese Art der Kadenz verleiht dem Gedicht eine kräftige, entschlossene Klangstruktur, die zur dramatischen Wirkung beiträgt. Die männliche Kadenz unterstreicht die Dringlichkeit und die Bedrohung, die in den Worten des Gedichts mitschwingen.

Tempuswechsel

Wechsel vom Präsens zum Präteritum in der letzten Strophe

Ein bemerkenswerter Tempuswechsel erfolgt in der letzten Strophe des Gedichts. Bis zu diesem Punkt wird die Handlung überwiegend im Präsens erzählt, was die Dringlichkeit und unmittelbare Bedrohung betont:

„Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;“

In der letzten Strophe wechselt das Tempus jedoch zum Präteritum, was den endgültigen Abschluss und die Unabänderlichkeit des tragischen Endes betont:

„Erreicht den Hof mit Müh’ und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.“

Dieser Wechsel vom Präsens zum Präteritum verstärkt den Kontrast zwischen der fieberhaften, unmittelbaren Bedrohung während der nächtlichen Reise und der endgültigen Tragödie, die nach der Ankunft zu Hause enthüllt wird. Der Tempuswechsel markiert den Übergang von der hektischen Flucht zur schmerzhaften Realität des Verlusts.

IV. Sprachliche Mittel und Stilmittel

Rhetorische Fragen

Beispiel: „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“

Wirkung auf den Leser:
Die Eröffnung des Gedichts mit einer rhetorischen Frage zieht den Leser sofort in die Handlung hinein und erzeugt eine Atmosphäre der Dringlichkeit und des Geheimnisses. Rhetorische Fragen dienen oft dazu, den Leser direkt anzusprechen und ihn zum Nachdenken anzuregen. In diesem Fall fragt die Erzählstimme nach der Identität des Reiters, was Neugier weckt und den Leser auf die kommende Geschichte vorbereitet. Die Frage erzeugt zudem eine dramatische Spannung, die sich durch das gesamte Gedicht zieht.

Alliterationen und Anaphern

Beispiele:

  • „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“ (Alliteration)
  • „Mein Vater, mein Vater“ (Anapher)

Bedeutung für den Rhythmus und die Melodik des Gedichts:
Alliterationen, wie in „Nacht und Wind“, erzeugen einen klanglichen Effekt, der die Dramatik und den Fluss des Gedichts unterstützt. Sie verleihen den Versen einen melodischen Klang und betonen bestimmte Wörter und Phrasen, die für die Handlung und Atmosphäre entscheidend sind.

Anaphern, wie „Mein Vater, mein Vater“, wiederholen ein Wort oder eine Phrase am Anfang mehrerer aufeinanderfolgender Sätze oder Verse. Diese Wiederholung verstärkt den emotionalen Appell des Sohnes und betont seine zunehmende Angst und Verzweiflung. Die Anapher verleiht dem Gedicht einen rhythmischen und eindringlichen Charakter, der die emotionale Intensität der Szene erhöht.

Symbolik und Metaphorik

Beispiele:

  • Nebelstreif: Der Nebel symbolisiert Unklarheit, Unsicherheit und die bedrohliche Präsenz des Übernatürlichen. Er schafft eine unheimliche Atmosphäre und verdeutlicht die Gefahr, die in der Dunkelheit lauert.
  • Düstere Orte: Der dunkle Wald und die unheimlichen Landschaften symbolisieren die unbekannten und gefährlichen Aspekte der Natur sowie die Ängste und Bedrohungen, die in der Nacht verborgen sind.
  • Alte Weiden: Die alten Weiden stehen als Symbol für das Alter, Verfall und vielleicht die Verbindung zu einer anderen Welt. Sie verstärken die düstere und melancholische Stimmung des Gedichts.

Wörtliche Rede

Dialogstruktur zwischen Vater und Sohn sowie Monologe des Erlkönigs:

Die Verwendung von wörtlicher Rede in Form von Dialogen zwischen Vater und Sohn sowie den Monologen des Erlkönigs verleiht dem Gedicht eine lebendige und unmittelbare Qualität.

  • Dialoge zwischen Vater und Sohn:
    Diese Dialoge unterstreichen die enge Beziehung und die Sorge des Vaters um sein Kind. Sie zeigen auch die zunehmende Verzweiflung des Kindes und das Bemühen des Vaters, es zu beruhigen. Der wiederholte Austausch betont die Dringlichkeit und das zunehmende Gefühl der Bedrohung.
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Beispiel:

  • Sohn: „Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht, was Erlenkönig mir leise verspricht?“
  • Vater: „Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; in dürren Blättern säuselt der Wind.“
  • Monologe des Erlkönigs:
    Die verführerischen und bedrohlichen Worte des Erlkönigs spiegeln seine manipulative Natur wider. Sie kontrastieren stark mit den besorgten und schützenden Worten des Vaters und verstärken die unheimliche Atmosphäre.

Beispiel:

  • Erlkönig: „Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; und bist du nicht willig, so brauch‘ ich Gewalt.“

Atmosphäre und Stimmung

Schaffung von Spannung und Bedrohlichkeit durch sprachliche Mittel:

Goethe nutzt eine Vielzahl von sprachlichen Mitteln, um eine Atmosphäre von Spannung und Bedrohlichkeit zu erzeugen.

  • Düstere Beschreibungen:
    Die wiederholten Hinweise auf die Dunkelheit, den Wind und den unheimlichen Wald schaffen eine bedrohliche Umgebung. Diese Elemente tragen dazu bei, eine beunruhigende und angespannte Stimmung zu erzeugen.
  • Wiederholungen und Steigerungen:
    Die zunehmende Verzweiflung des Kindes, die sich in den wiederholten Rufen „Mein Vater, mein Vater“ zeigt, verstärkt die Dramatik und die drohende Gefahr. Die Steigerung der Intensität in den Worten des Kindes und des Erlkönigs erhöht die Spannung.
  • Kontraste:
    Die kontrastierende Darstellung der beruhigenden Worte des Vaters und der verführerischen, bedrohlichen Worte des Erlkönigs verstärkt die Spannung. Der Leser spürt den Konflikt zwischen der rationalen Welt des Vaters und der übernatürlichen Bedrohung durch den Erlkönig.

Durch diese stilistischen Mittel schafft Goethe eine packende und emotionale Erzählung, die den Leser tief in die düstere und bedrohliche Welt des Gedichts hineinzieht. Die geschickt eingesetzten rhetorischen Fragen, Alliterationen, Anaphern, Symbole und die dialogische Struktur tragen wesentlich zur Wirkung und Intensität von „Der Erlkönig“ bei.

Im Bild sind ein Vater und sein Sohn dargestellt, die gemeinsam auf einem Pferd durch einen nebligen, mondbeschienenen Wald reiten. Der Sohn, der jung und etwas verletzlich erscheint, sitzt vor seinem Vater auf dem Pferd, sicher in dessen schützenden Armen eingehüllt. Der Vater, aufmerksam und wachsam, führt das Pferd ruhig durch den Wald. Im Hintergrund wird der Erlkönig nicht als bedrohliche Gestalt, sondern als mystische und ätherische Erscheinung dargestellt, die harmonisch mit der Umgebung verschmilzt.

V. Inhaltliche Analyse

Handlungsverlauf

Anfang: Vater und Sohn reiten durch die Nacht

Das Gedicht beginnt mit einer dramatischen Szene, in der ein Vater mit seinem kranken Sohn durch die dunkle und stürmische Nacht reitet. Die Atmosphäre ist von Beginn an düster und unheilvoll, was durch die Beschreibung von „Nacht und Wind“ verstärkt wird. Diese Eröffnung stellt die beiden Hauptfiguren vor und setzt den Ton für die bedrohliche und mysteriöse Handlung, die folgt.

Mittelteil: Dialoge und Monologe, steigende Spannung

Im Mittelteil des Gedichts entfaltet sich die Handlung hauptsächlich durch Dialoge zwischen Vater und Sohn sowie die verführerischen Monologe des Erlkönigs. Der Sohn sieht und hört den Erlkönig und berichtet dies seinem Vater, der jedoch alles rational zu erklären versucht. Die Spannung steigt mit jeder Strophe, da die Wahrnehmungen des Sohnes immer bedrohlicher und die Erklärungen des Vaters immer verzweifelter werden. Die wiederholten Rufe des Kindes und die Beschwichtigungen des Vaters verstärken die Dramatik und die drohende Gefahr.

Ende: Tod des Kindes

Das Gedicht endet tragisch mit dem Tod des Kindes. Trotz aller Bemühungen des Vaters erreicht er das Ziel nicht rechtzeitig, und sein Sohn stirbt in seinen Armen. Diese plötzliche und erschütternde Wendung unterstreicht die Machtlosigkeit des Vaters gegenüber der bedrohlichen Macht des Erlkönigs und verleiht dem Gedicht eine tief melancholische und tragische Note.

Charakterisierung der Figuren

Vater: Rational, beschützend, verzweifelt

Der Vater wird als eine rational denkende und beschützende Figur dargestellt, die versucht, die Ängste seines Sohnes zu beruhigen. Er interpretiert die Erscheinungen des Erlkönigs als natürliche Phänomene und bemüht sich, seinem Sohn Sicherheit zu geben. Seine rationale Haltung und die stetige Beschwichtigung zeigen seine verzweifelte Bemühung, die Kontrolle über die Situation zu behalten. Am Ende wird seine Verzweiflung und Hilflosigkeit deutlich, als er das tote Kind in den Armen hält.

Sohn: Ängstlich, fiebernd, halluzinierend

Der Sohn wird als ängstlich und schwach beschrieben, was durch seine fieberhaften Halluzinationen verstärkt wird. Er nimmt den Erlkönig wahr und ist überzeugt, dass dieser ihn bedroht. Seine wiederholten Hilferufe an den Vater spiegeln seine zunehmende Angst und Verzweiflung wider. Der Kontrast zwischen der Wahrnehmung des Sohnes und den beruhigenden Erklärungen des Vaters verstärkt die Spannung und Tragik der Situation.

Erlkönig: Verführerisch, bedrohlich, übernatürlich

Der Erlkönig selbst ist eine bedrohliche und zugleich verführerische Figur. Er spricht in einem sanften und lockenden Ton, um das Kind zu sich zu ziehen. Seine Worte sind von einer unheimlichen Überzeugungskraft geprägt, die die Bedrohung seiner Präsenz verstärkt. Als übernatürliches Wesen verkörpert er die dunklen Mächte der Natur und das Unbekannte, gegen das die rationale Welt des Vaters machtlos ist.

Themen und Motive

Angst und Bedrohung

Ein zentrales Thema des Gedichts ist die allgegenwärtige Angst und Bedrohung, die durch die Präsenz des Erlkönigs verkörpert wird. Die Angst des Kindes und die verzweifelte Bemühung des Vaters, es zu schützen, stehen im Mittelpunkt der Handlung und erzeugen eine intensive Spannung.

Übernatürliches und Naturmagie

Das Gedicht behandelt das Übernatürliche und die Naturmagie, dargestellt durch den Erlkönig und die unheimliche Landschaft. Diese Elemente stehen im Kontrast zur rationalen Welt des Vaters und betonen die Grenzen menschlicher Kontrolle über die Natur und das Unbekannte.

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Vater-Sohn-Beziehung

Die Beziehung zwischen Vater und Sohn ist ein weiteres zentrales Motiv. Der Vater versucht, seinen Sohn zu beschützen und zu beruhigen, während der Sohn sich verzweifelt an seinen Vater wendet. Diese Beziehung verleiht der Handlung eine tiefe emotionale Ebene und betont die Tragik des Endes.

Krankheit und Tod

Krankheit und Tod sind ebenfalls wichtige Themen, die durch die fieberhaften Halluzinationen des Kindes und dessen letztendlichen Tod verdeutlicht werden. Diese Themen verstärken die düstere und melancholische Atmosphäre des Gedichts.

Interpretationen

Der Erlkönig als Fiebertraum und Todesbote

Eine gängige Interpretation des Gedichts sieht den Erlkönig als eine Manifestation des fieberhaften Zustands des Kindes. In dieser Sichtweise ist der Erlkönig ein Symbol für den nahenden Tod, der das kranke Kind in seinen Bann zieht. Die Halluzinationen des Kindes könnten demnach als Vorboten seines unvermeidlichen Endes verstanden werden.

Psychologische Deutung: Übergang von Kindheit zur Erwachsenenwelt

Das Gedicht kann auch als eine Allegorie für den Übergang von der Kindheit zur Erwachsenenwelt gedeutet werden. Der Erlkönig könnte als Symbol für die Ängste und Herausforderungen stehen, die mit diesem Übergang verbunden sind. Die Unfähigkeit des Vaters, die Bedrohungen des Erlkönigs zu erkennen, könnte die Kluft zwischen der kindlichen Wahrnehmung und der rationalen Erwachsenenwelt darstellen.

Kritische Sicht auf die Rationalität des Vaters

Eine kritische Interpretation könnte die Rationalität des Vaters hinterfragen. Seine ständigen Versuche, die Bedrohung durch den Erlkönig zu rationalisieren und zu erklären, zeigen seine Unfähigkeit, die wirklichen Ängste seines Sohnes zu verstehen. Diese Sichtweise könnte darauf hinweisen, dass die rationale Welt manchmal nicht ausreicht, um die tiefen emotionalen und psychologischen Bedürfnisse zu erfassen und zu adressieren.

VI. Historischer und kultureller Kontext

Sturm und Drang

Merkmale der Epoche und ihre Einflüsse auf das Gedicht

Der „Sturm und Drang“ war eine literarische Bewegung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die sich als Gegenbewegung zur Aufklärung und deren Betonung der Vernunft verstand. Die Autoren des Sturm und Drang legten großen Wert auf Emotionen, Individualität und das Erleben der Natur. Sie stellten den leidenschaftlichen Ausdruck des inneren Erlebens in den Vordergrund und lehnten die strengen rationalistischen und moralischen Normen der Aufklärung ab. Goethe, einer der Hauptvertreter dieser Epoche, thematisiert in „Der Erlkönig“ zentrale Motive dieser Zeit, wie das Spannungsverhältnis zwischen Natur und menschlichem Schicksal sowie die Intensität der Gefühle von Angst und Verzweiflung.

Volksmärchen und naturmagische Elemente

Herkunft des Erlkönig-Stoffes aus dänischen Volksmärchen

Der Stoff des „Erlkönigs“ stammt aus dänischen Volksmärchen und wurde durch Goethe in eine dichterische Form gebracht. Der Erlkönig, in den dänischen Märchen als „Ellerkonge“ bekannt, war eine übernatürliche Gestalt, die Menschen, insbesondere Kinder, in den Tod lockt. Goethe integrierte diese Elemente geschickt in sein Gedicht, um die Bedrohung und die Mystik der Natur zu verstärken. Die Darstellung des Erlkönigs als eine verführerische, aber zugleich bedrohliche Figur spiegelt die Naturmagie wider, die in den Volksmärchen tief verwurzelt ist.

Vergleich mit anderen Werken der Zeit

Goethes „Der Erlkönig“ kann im Kontext anderer Werke des Sturm und Drang betrachtet werden, die ebenfalls stark auf emotionale Intensität und Naturmystik setzen. Werke wie Friedrich Schillers „Die Räuber“ oder Heinrich Leopold Wagners „Die Kindermörderin“ teilen die Tendenz, starke Gefühle und gesellschaftliche Spannungen zu thematisieren. Der Einsatz von übernatürlichen und volkstümlichen Motiven ist auch in anderen Werken dieser Zeit zu finden, wobei Goethe diese Elemente besonders effektiv nutzt, um eine tiefgehende psychologische Spannung zu erzeugen.

Musikalische Vertonungen

Franz Schuberts Vertonung des „Erlkönig“ und ihre Bedeutung

Franz Schubert komponierte seine berühmte Vertonung des „Erlkönig“ im Jahr 1815. Dieses Werk gilt als eine der herausragendsten Vertonungen der deutschen Liedkunst und zeigt Schuberts Fähigkeit, die dramatische und emotionale Intensität des Gedichts musikalisch darzustellen. Die Klavierbegleitung imitiert das galoppierende Pferd, während die unterschiedlichen Stimmen von Vater, Sohn und Erlkönig durch variierende musikalische Themen und Stimmungen dargestellt werden. Schuberts Vertonung hat wesentlich zur Popularität des Gedichts beigetragen und es einem breiten Publikum zugänglich gemacht.

Weitere bekannte Vertonungen (z.B. Carl Loewe)

Neben Schubert hat auch Carl Loewe das Gedicht vertont. Seine Version aus dem Jahr 1818 bietet eine andere musikalische Perspektive auf den Text, indem sie die dramatische Struktur und die Charaktere auf eigene Weise interpretiert. Loewe setzte ebenfalls auf starke musikalische Kontraste, um die verschiedenen Figuren und die zunehmende Spannung darzustellen. Beide Vertonungen sind bedeutende Beiträge zur musikalischen Rezeption des Gedichts und zeigen die Vielseitigkeit und den Reichtum der Interpretationsmöglichkeiten.

VII. Rezeption und Wirkung

Zeitgenössische Rezeption

Wie wurde das Gedicht bei seiner Veröffentlichung aufgenommen?

Bei seiner Veröffentlichung wurde „Der Erlkönig“ positiv aufgenommen und fand schnell Anerkennung in literarischen Kreisen. Das Gedicht passte gut in die damalige literarische Strömung des Sturm und Drang, die stark von emotionaler Intensität und dem Erforschen menschlicher Abgründe geprägt war. Goethes meisterhafte Schilderung von Angst und Bedrohung fand großen Anklang und das Gedicht wurde bald als ein herausragendes Beispiel für die dichterische Kraft und das dramatische Potential der deutschen Sprache gefeiert.

Heutige Bedeutung

Stellung in der deutschen Literaturgeschichte

Heute gilt „Der Erlkönig“ als eines der bekanntesten und am häufigsten interpretierten Gedichte der deutschen Literatur. Es wird häufig in Schulen und Universitäten studiert und analysiert, nicht nur wegen seiner literarischen Qualität, sondern auch wegen seiner tiefen Einblicke in menschliche Emotionen und Ängste. Das Gedicht ist ein exemplarisches Werk des Sturm und Drang und zeigt Goethes Fähigkeit, volkstümliche Stoffe in große Kunst zu verwandeln.

Verwendung im Schulunterricht und in der Popkultur

„Der Erlkönig“ ist ein fester Bestandteil des Lehrplans im deutschsprachigen Raum. Es wird oft im Deutschunterricht behandelt, um Schülern Einblicke in die literarische Epoche des Sturm und Drang sowie in Goethes Schaffen zu geben. Darüber hinaus hat das Gedicht seinen Platz in der Popkultur gefunden, sei es durch zahlreiche musikalische Adaptionen, Theaterinszenierungen oder Verweise in Filmen und Büchern. Die düstere Atmosphäre und die universellen Themen von Angst und Tod machen es auch heute noch relevant und faszinierend.

Durch diese umfassende Analyse wird deutlich, wie vielschichtig und bedeutend Goethes „Der Erlkönig“ sowohl in seinem historischen Kontext als auch in seiner literarischen und kulturellen Wirkung ist.

VIII. Tabellarische Zusammenfassung

KategorieDetail
Einleitung
TitelDer Erlkönig
AutorJohann Wolfgang von Goethe
Veröffentlichungsjahr1782
EpocheSturm und Drang
Kurze InhaltszusammenfassungVater reitet mit Sohn durch die Nacht; der Sohn wird vom Erlkönig bedroht; trotz väterlicher Beruhigungen stirbt der Sohn.
Formale Analyse
Strophen und Verse8 Strophen, jeweils 4 Verse
ReimschemaPaarreim (aabb), mit Ausnahme der fünften Strophe (unreiner Reim)
MetrumVorwiegend vierhebiger Jambus, gelegentlich Anapäst
KadenzVorwiegend männliche Kadenz
TempuswechselWechsel vom Präsens zum Präteritum in der letzten Strophe
Sprachliche Mittel
Rhetorische Fragen„Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“ – Erzeugt Spannung und zieht den Leser in die Handlung.
Alliterationen und AnaphernBeispiele: „Vater, mein Vater“; „siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?“. Verstärken den Rhythmus und die Melodik des Gedichts.
Symbolik und MetaphorikNebelstreif, düstere Orte, alte Weiden – Symbolisieren die Bedrohung und das Unheimliche der Natur.
Wörtliche RedeDialogstruktur zwischen Vater und Sohn, Monologe des Erlkönigs – Erzeugen eine lebendige und dynamische Handlung.
Atmosphäre und StimmungSchaffung von Spannung und Bedrohlichkeit durch sprachliche Mittel wie düstere Beschreibungen und die direkte Rede des Erlkönigs.
Inhaltliche Analyse
HandlungsverlaufAnfang: Vater und Sohn reiten durch die Nacht; Mittelteil: Dialoge und Monologe, steigende Spannung; Ende: Tod des Kindes.
Charakterisierung der FigurenVater: Rational, beschützend, verzweifelt; Sohn: Ängstlich, fiebernd, halluzinierend; Erlkönig: Verführerisch, bedrohlich, übernatürlich.
Themen und MotiveAngst und Bedrohung; Übernatürliches und Naturmagie; Vater-Sohn-Beziehung; Krankheit und Tod.
InterpretationenDer Erlkönig als Fiebertraum und Todesbote; Psychologische Deutung: Übergang von Kindheit zur Erwachsenenwelt; Kritische Sicht auf die Rationalität des Vaters.
Historischer und kultureller Kontext
Sturm und DrangBetonung von Emotionen, Individualität und Naturerlebnis; Gegenbewegung zur Aufklärung.
Volksmärchen und naturmagische ElementeErlkönig-Stoff aus dänischen Volksmärchen; Naturmagie und übernatürliche Elemente.
Vergleich mit anderen Werken der ZeitÄhnlichkeiten mit anderen Sturm und Drang-Werken, die emotionale Intensität und Naturmystik thematisieren.
Musikalische VertonungenFranz Schuberts Vertonung (1815) und ihre Bedeutung; weitere Vertonungen z.B. von Carl Loewe.
Rezeption und Wirkung
Zeitgenössische RezeptionPositiv aufgenommen, schnell anerkannter literarischer Wert.
Heutige BedeutungWichtiges Werk in der deutschen Literaturgeschichte; häufige Verwendung im Schulunterricht und in der Popkultur.

Der Erlkönig als Satire von Heinz Erhardt

Der König Erl
(Frei nach Johann Wolfgang von Frankfurt)

Wer reitet so spät durch Wind und Nacht?
Es ist der Vater. Es ist gleich acht.
Im Arm den Knaben er wohl hält,
er hält ihn warm, denn er ist erkält’.
Halb drei, halb fünf. Es wird schon hell.
Noch immer reitet der Vater schnell.
Erreicht den Hof mit Müh und Not —
der Knabe lebt, das Pferd ist tot!

Heinz Erhardt

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